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90 Meter hoch

Klima-Aktivisten besetzen Kraftwerk-Schornsteine in Jena

Die fünf Aktivisten kletterten gegen 6 Uhr auf die Schornsteine im Kraftwerk in Jena-Winzerla.
Die fünf Aktivisten kletterten gegen 6 Uhr auf die Schornsteine im Kraftwerk in Jena-Winzerla.
Foto: JENPICTURES/Baumgarten
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Auf Schornsteine geklettert: Klima-Aktivisten besetzen am frühen Mittwochmorgen das Gaskraftwerk in Jena.

Jena. Fünf Klima-Aktivisten blockieren unter dem Motto „Gas Is Over“ seit dem frühen Mittwochmorgen das Heizkraftwerk in Jena-Winzerla.


Gegen 06:00 Uhr kletterten sie auf die über 90 Meter hohen Schornsteine im Firmengelände der TEAG und befestigten Transparente mit ihren Forderungen.

Kurze Zeit später meldeten sich die Aktivisten über Twitter: „Gas is Over! Deshalb steigen wir heute der Gasindustrie aufs Dach und blockieren den fossilen Kapitalismus. Wir sind gerade auf dem Weg auf den Schornstein vom Heizkraftwerk“.


Trotzdem es sich um ein Privatgelände handelt und mindestens die Straftat des Hausfriedensbruchs vorliegt, duldete die Versammlungsbehörde der Stadt Jena diese Aktion und genehmigte es als Spontankundgebung.

"Wir versuchten, die Aktivisten zum Herunterklettern zu bewegen und haben diese per Megafone über die Rechtslage und vermeintliche Straftatbestände aufgeklärt“, so Jenas Sicherheitsdezernent Benjamin Koppe am frühen Vormittag. 


Mittlerweile waren neben der örtlichen Polizei und Feuerwehr auch Spezialeinheiten der Höhenrettung vor Ort eingetroffen.

Mit einer Drohne der Polizei wurden die Protestler mehrfach aufgefordert, die Schornsteine freiwillig zu verlassen. Doch auch hier erfolgte keine Reaktion.


Zwischenzeitlich benutzten die Besetzer vermutlich Pyrotechnik - Rauchschwaden waren plötzlich sichtbar.

Nun drohte die Räumung der Türme mittels eines Polizeihubschraubers. Doch laut Polizeisprecher Daniel Müller hat man sich dagegen entschieden und gegen 12:30 Uhr alle Spezialeinheiten wieder abgezogen.

Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei bleiben bis auf Weiteres vor Ort. Man hoffe, dass die Aktivisten von selbst aufgeben.


Die Gefahr, sie zu holen, ist größer, als wenn man sie allein herunterkommen lässt.“, so der Polizeisprecher.

Ein Sprecher der Thüringer Energie AG (TEAG) kündigte an, Anzeige wegen Hausfriedensbruchs zu erstatten. Auch werden Schadenersatzforderungen des Unternehmens geprüft.

"Die Energieversorgung war zu keiner Zeit gefährdet, im Moment ist aufgrund einer technischen Umstellung dieser Teil des Kraftwerkes nicht im Betrieb.", so der Anlagenbetreiber (TEAG).


Es ist in diesem Jahr die zweite größere Protestaktion: Bereits am 6. Februar hatten Klima-Aktivisten in Jena auf sich aufmerksam gemacht, in dem sie sich auf der Fahrbahn festgeklebt hatten und damit die Hauptstraße blockierten (wir berichteten: Festgeklebt: Klima-Aktivisten blockierten Hauptstraße in Jena).

Text: Dirk Sauerbrey
Fotos: JENPICTURES/Baumgarten

Update am 31.03.2023

Richtigstellung der Ordnungsbehörde der Stadt Jena zum Klimaprotest auf dem Heizkraftwerk Jena-Winzerla.

Durch die Berichterstattung zum Protest einiger Klima-Aktivisten auf den Heiztürmen des Jenaer Kraftwerkes entstand der öffentliche Eindruck, die Versammlungsbehörde der Stadtverwaltung Jena habe das Handeln der Aktivisten "genehmigt" oder "geduldet" und die Protestform damit legitimiert.

Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Der folgende Artikel thematisiert die Komplexität des Versammlungsrechts, gerade im Hinblick auf eine sog. Grundrechtskollision und schafft somit Transparenz für das Verwaltungshandeln vor Ort.

Bereits mit Besteigen der Türme, spätestens aber mit Ausrollen des ersten Protest-Banners der fünf Klima-Aktivisten mit der Aufschrift "Gas is over!" gegen 07:40 Uhr lag bereits eine Protestform vor, die im Rahmen der Grundrechte der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 GG sowie der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG die Definition und die Anforderungen an eine Kundgebung im versammlungsrechtlichen Sinn erfüllte.

Diese Kundgebung war bei der Versammlungsbehörde, entgegen einer im Versammlungsgesetz verankerten Anzeigepflicht, nicht angezeigt. Sie war mithin auch nicht dem Kraftwerksbetreiber vorab bekannt gegeben worden. Eine Verhinderung der Aktion war somit bereits zum Zeitpunkt des Besteigens nicht möglich, da hierüber schlichtweg keine Kenntnis bestand.

Aus der Nichtanzeige einer Kundgebung resultiert im Umkehrschluss jedoch noch keine Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine unmittelbare Auflösung derselben. Dafür müssen weitere Umstände, z.B. eine beginnende Unfriedlichkeit durch Gewalttaten hinzutreten, die vor Ort nicht vorlagen.

Zweifelsohne behinderte die Protestform die Betriebsabläufe auf dem Firmengelände und es lag auch eine Grundrechtskollision mit Rechtsgütern Dritter vor. Das Kraftwerk befand sich aus betrieblichen Gründen jedoch ohnehin nicht in Betrieb, sodass keine Einschränkungen in der Wärmeversorgung der Jenaer Bürger bestand.

In Abstimmung aller Verantwortungsträger vor Ort, zu denen neben Polizei und Versammlungsbehörde auch der Hausrechtsinhaber gehörte, und nach Konsultation der Staatsanwaltschaft Gera hinsichtlich der vorliegenden Straftatbestände wurde die Kundgebung gegen 09:30 Uhr zeitlich bis 10:00 Uhr beschränkt.

Diese Beschränkung stellte die zu diesem Zeitpunkt einzige versammlungsrechtlich zulässige Maßnahme dar. Da die Aktivisten ihren Protest zu diesem Zeitpunkt nicht beendeten, wurde die Kundgebung schließlich gegen 10:00 Uhraufgelöst.

Ab diesem Zeitpunkt bestand somit keine reguläre Versammlung mehr. Dennoch haben die Personen die Plattform nicht freiwillig verlassen und den Protest fortgeführt.

Ein anschließender Abwägungsprozess führte zu dem Ergebnis, dass ein zwangsweises Beenden der Aktion ein nicht kalkulierbares und damit nicht hinnehmbares Risiko für einzusetzende Polizeibeamte, aber auch für die Aktivisten selbst darstellen würde und daher nicht möglich ist.

Die Entscheidung, die Aktivisten auf den Plattformen der Heiztürme zu belassen, wurde vor Ort durch Polizei und Hausrechtsinhaber getroffen. Dieser Zustand hielt schließlich so lange an, bis alle Aktivisten am Abend die Schornsteine freiwillig verlassen haben und im Anschluss erkennungsdienstlich behandelt wurden.

Quelle: Stadt Jena