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Kritik an der Landesregierung

Angst um Jena: „Wir stehen vor Bergamo“

Jenas Bürgermeister Gerlitz befürchtet Zustände wie in Bergamo zu Anfang des Jahres, wenn die Landesregierung nicht endlich die Corona-Maßnahmen verschärft.
Jenas Bürgermeister Gerlitz befürchtet Zustände wie in Bergamo zu Anfang des Jahres, wenn die Landesregierung nicht endlich die Corona-Maßnahmen verschärft.
Foto: Stadt Jena/Christoph Worsch
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Lasche Corona-Maßnahmen: Ein emotionaler Bürgermeister Christian Gerlitz nimmt die Landesregierung in die Pflicht und nennt dazu konkrete Probleme in Jena und Thüringen.

Jena. Die beiden größten Thüringer Städte Erfurt und Jena haben ihre Kritik an der Landesregierung bezüglich des Corona-Managements erneuert.

„Es ist 5 nach 12“

Während Thüringen auf eine 7-Tage-Inzidenz von 300 zusteuert, signalisiere die Landesregierung Sorge, mehr aber nicht. „Es ist 5 nach 12“, betonen deswegen Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein und Jenas Bürgermeister Christian Gerlitz.

Konkret gehe es ihnen um die halbherzige Umsetzung, mit der die Landesregierung die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen umsetze.

„Kita-Notbetreuung“ nur auf dem Papier

Als wir diesbezüglich nachfragten, nannte Gerlitz als Beispiel die Kita-Notbetreuung, die, anders als man meinen sollte, nicht wirklich einer Notbetreuung entspricht. Jeder könne, unabhängig von Beruf oder beruflicher Situation, die Notbetreuung für sein Kind anmelden, sofern er einen für sich triftigen Grund nennt.

Dies führe, trotz offizieller Schließung, zu einer Auslastung von bis zu 80 Prozent in Jenaer Kindergärten, sagt Gerlitz. Diese Zahl mag zu hoch angesetzt sein oder nicht, dem Begriff „Notbetreuung“ wird man damit so oder so aber nicht gerecht.

Zwar zeigt Gerlitz Verständnis für alle Eltern in nicht-systemrelevanten Berufen, man sei jedoch in einer akuten Lage, in der es gelte, Kontakte maximal einzuschränken, zumal in allen anderen Bundesländern, wo die Notbetreuung tatsächlich diesen Berufsgruppen vorbehalten ist, auch keiner nachfrage.

Keine Corona-Schnelltests, keine Massenimpfungen, kein schneller Rückgang

Weiterhin kritisiert er, dass es anders als in den restlichen Bundesländern keine verpflichtenden Corona-Schnelltests in Altersheimen gebe, obwohl diese immer häufiger zu Hotspots werden und ihre Bewohner zur stark gefährdeten Gruppe gehören.

„Der Schutz und die Unterstützung der Pflegeheime muss unbedingt landesweit konsequenter umgesetzt werden. Fast jeden Tag sehen wir hier gerade neue Ausbrüche, wobei jeder einzelne mit unglaublich viel menschlichem Leid verbunden sind“, so der Bürgermeister.

Impfungen - Landesregierung fehlt Weitsicht

Bleibt das Thema Impfung. Gerlitz schildert unserer Redaktion, dass es ab dem 27. Dezember, wenn die Impfungen beginnen sollen, in Thüringen keine Massenimpfungen geben sollen.

Die anderen Bundesländer würden dahingehend weitblickender planen und große Impfzentren einrichten, wohingegen in Thüringen nur kleine Räumlichkeiten eingerichtet werden.

Speziell um Jena macht sich Gerlitz große Sorgen. Denn geplant sind nur zwei kleine Impfstationen auf eine Bevölkerung von gut 110.000 Menschen. Eine schnelle Massenimmunisierung ist damit jedenfalls nicht möglich.

Land verbietet Kommunen strengere Maßnahmen

Nun bliebe den Kommunen im Grunde die Möglichkeit, selbst verschärfende Maßnahmen zu beschließen. Weit gefehlt, denn das Land verbietet es, wie sowohl Gerlitz als auch Bausewein bestätigen.

„Den beiden größten Städten Thüringens war es unmöglich, sich in weiten Teilen von der viel zu zögerlichen Thüringer Corona-Politik gänzlich abzukoppeln“, kritisieren beide, „vor allem, wenn durch das Land bei weitergehenden Regelungen vor Ort teilweise auch noch versucht wird, diese zu konterkarieren“.

Als Beispiel nennt Gerlitz wieder die Kita-Schließungen, für die es der Zustimmung des Kultusministeriums bedürfe. Die Kommunen haben dahingehend keine eigene Entscheidungsgewalt.

Deswegen müsse nun endlich von der Rhetorik abgewichen werden, die den Ernst der Lage nicht verdeutlichte. Die Landesregierung müsse endlich strikte Maßnahmen ergreifen und Klartext mit den Leuten reden, sie auf das Kommende vorbereiten.

Lage ist viel akuter als gedacht

„Die Zahl der Intensivpatienten in zwei Wochen steht bereits durch die hohen Ansteckungszahlen von heute fest. Die Lage ist viel akuter als gedacht. Wenn wir nicht einlenken, stehen wir in zwei Wochen vor einer Situation wie in Bergamo im Frühjahr“, appelliert Gerlitz.

Das norditalienische Bergamo machte Anfang des Jahres, während der ersten Infektionswelle, weltweit Schlagzeilen, als ganze Kolonnen von Leichenwagen durch die Stadt rollten.

Text: Johannes Pfuch