Skip to main content

Unternehmensbefragung

Gastronomie in Jena: Existenzangst nach Corona

Stellten heute die Ergebnisse der Unternehmensbefragung zur Corona-Pandemie vor: Patrick Werner und Wilfried Röpke von der Wirtschaftsförderung Jena sowie Prof. Sebastian Henn und Björn Braunschweig vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena (v.l.n.r.)
Stellten heute die Ergebnisse der Unternehmensbefragung zur Corona-Pandemie vor: Patrick Werner und Wilfried Röpke von der Wirtschaftsförderung Jena sowie Prof. Sebastian Henn und Björn Braunschweig vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena (v.l.n.r.)
Foto: JenaWirtschaft
Teilen auf

Zwischen Hoffnung und Verzweiflung: Jeder dritte Gastronom in Jena bangt um seinen Job, der High-Tech-Sektor atmet auf. In einer Umfrage von JenaWirtschaft bewerten die Betriebe die Corona-Folgen höchst unterschiedlich.

Jena. Wie kommt der Wirtschaftsstandort Jena durch die Corona-Pandemie? Welche Herausforderungen sind für die Unternehmen am größten? Und wie kommen die Hilfen vor Ort an?

Um diese und ähnliche Fragen differenziert zu beantworten, befragten die Wirtschaftsförderung Jena (JenaWirtschaft) und der Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie im April und Mai die Jenaer Unternehmen und Selbständigen.

Rund 420 Unternehmen und Geschäftsleute aus unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen nahmen an der Befragung teil. Die Haupterkenntnis: Die Jenaer Branchen sind ganz unterschiedlich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen.

Gastronomie in existenziellen Nöten

Während Unternehmen aus dem High-Tech-Bereich und dem Verarbeitenden Gewerbe vor allem mit Umsatzrückgängen und Absatzverlusten zu kämpfen haben, stehen Gastronomie, Veranstaltungswirtschaft und ähnliche Dienstleister in Jena zum Teil vor dem existenziellen Abgrund. Insgesamt bringe der Wirtschaftsstandort aber gute Voraussetzungen mit, um sich zu erholen.

„Die Befragung zeichnet ein differenziertes Bild“, so JenaWirtschaft-Geschäftsführer Wilfried Röpke. „Das produzierende Gewerbe und der High-Tech-Sektor scheinen mit einem dunkelblauen Auge durch die Krise zu kommen; sie konnten trotz Problemen beim Absatz und den oft internationalen Lieferketten relativ gut weiterarbeiten.

Über 60 Prozent der Jenaer High-Tech-Betriebe gaben überdies an, dass ihr Umsatz im April gleichgeblieben ist oder sogar zugelegt hat.



Dem gegenüber bestätigt die Befragung, dass der Shutdown aber vor allem bei den lokalen Dienstleistern – Hotellerie, Gastronomie, Veranstaltungswirtschaft, Einzelhandel, und vielen mehr – zu großen betriebswirtschaftlichen Schäden geführt hat; viele stehen am existenziellen Abgrund.

So gaben beispielsweise 35 Prozent aller befragten Gastronomieunternehmen an, eine Insolvenz bzw. Betriebsschließung noch in diesem Jahr in Betracht zu ziehen.

Laut Röpke sind es besonders die kleinen Läden, Kneipen und Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, die die Vielfalt Jenas ausmachen: „Die Lebensqualität vor Ort ist ein ganz wichtiger weicher Standortfaktor für Jena, auch jenseits von absoluten monetären Steuereinnahmen oder Beschäftigtenzahlen dieses Wirtschaftszweiges.“

Als eine der größten Herausforderungen während der Corona-Krise nannten die Unternehmen und Selbstständigen neben der allgemeinen Unsicherheit über die weltwirtschaftliche Lage die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

„Wir brauchen hier flexiblere Lösungen, damit wir gewährleisten können, dass auch berufstätige Eltern von kleinen Kindern dauerhaft einsatzbereit bleiben“, so Röpke. Besonders im Hinblick darauf, dass aktuell nicht klar ist, wie sich das Infektionsgeschehen weiterentwickelt.

Kritik an den Bedingungen für Überbrückungskredite

Neben den Soforthilfemaßnahmen von Land und Bund hat die Bundesregierung ein umfangreiches Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht. Prof. Sebastian Henn, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie der FSU Jena und Mitglied im Corona-Beirat der Thüringer Landesregierung, bewertet das Maßnahmenpaket grundsätzlich positiv.

Verbesserungsbedarf gäbe es aber laut den Befragten bei der langen Bearbeitungsdauer und den Auszahlungsmodalitäten.

„In Jena wurden hauptsächlich zwei Instrumente nachgefragt: die Soforthilfen für Selbständige und Unternehmen bis 50 Mitarbeitende und das Kurzarbeitergeld. Insgesamt zahlte die Thüringer Aufbaubank bis Ende Mai 14,9 Millionen Euro an 2.105 Antragsstellende aus Jena aus.“



Andere Instrumente, wie Liquiditätshilfe und Überbrückungskredite sind für Einzel- und Kleinunternehmen aufgrund der Kreditbedingungen und großen Unsicherheit oft keine sinnvolle Option, so Henn. Aber: „Soforthilfen schützen mittel- und langfristig nicht vor Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.“

Wichtig für den Beschäftigungsstandort Jena sei, dass das Instrument Kurzarbeit funktioniere, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern. „Obwohl die Arbeitslosenquote in Jena im Mai auf 5,9 Prozent stieg, liegt der Wert noch deutlich unter dem bundesdeutschen Anstieg“, so Henn. Dies spreche für die Resilienz – also relative Krisenfestigkeit oder Widerstandskraft – des Standorts Jena.

Forderung nach Auseinandersetzung mit der Digitalisierung

Obwohl im April und Mai über 40 Prozent der Jenaer Unternehmen Kurzarbeit angezeigt haben, sorgt die Corona-Pandemie laut Wirtschaftsgeograph Henn auch nicht für ein Ende des vielzitierten Fachkräftemangels:

„Die Arbeitslosigkeit wird wieder zurückgehen und Unternehmen müssen in den nächsten Jahren der Verrentungswelle der eigenen Belegschaft begegnen.“ Vor allem internationale Fachkräfte könnten die entstehende Lücke schließen – dazu sei aber auch eine entsprechende Willkommenskultur am Standort Jena notwendig.

„Mittel- und langfristig müssen sich alle Unternehmen – vom Solo-Handwerker über den kleinen Eckladen bis zu den High-Tech-Betrieben – dringend mit der Frage beschäftigen, wie sie sich die Digitalisierung gewinnbringend zunutze machen können“, so Wirtschaftsgeograph Henn.

Im Moment werde diese Frage noch sehr branchenabhängig beantwortet: Nur rund ein Fünftel der befragten Geschäftsleute im Einzelhandel beispielsweise bewertet aktuell Digitalisierung als Chance für Ihr Unternehmen.



Und wie schaut der Wirtschaftsstandort insgesamt in die Zukunft? Wilfried Röpke bleibt zuversichtlich, sofern keine zweite große Welle der COVID-19-Pandemie zurückkehrt: „Jena hatte vor Ausbruch der Pandemie eine gesunde, leistungsstarkeund innovative Wirtschaft – zentral waren und sind dabei Industrie und High-Tech-Sektor – Optik und Medizintechnik, aber auch Dienstleistungen, Digitalwirtschaft und Handwerk.

Die Unternehmen aus diesen Wirtschaftszweigen generieren eine hohe Bruttowertschöpfung. Durch diese Wirtschaftsstruktur hat Jena das Potential, sich relativ schnell wieder ökonomisch zu erholen.“

Die Befragung zeige außerdem, wie groß das Vertrauen der Unternehmen in den Standort Jena ist: Rund drei Viertel aller Firmen vor Ort gaben an, dass der Wirtschaftsstandort nach der Pandemie wieder genauso gut oder sogar besser dastehen wird als zuvor.

Quelle: JenaWirtschaft