Schluss mit lustig
Tod der Jenaer Faschingslegende

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Das Sterben der Kulturinstitutionen geht unvermindert weiter. Mussten im abgelaufenen Jahr TV-Urgestein „Blacky“ Fuchsberger, Aldi-Süd-Boss Karl Albrecht und Welterklärer Peter Scholl-Latour betrauert und auf den letzten Dezemberpfiff Udo Jürgens und Joe Cocker zu Grabe getragen werden, erreichte Gevatter Tod nun auch Jena. Das Lustige Närrische Treiben hat seinen Abschied vom Stadtleben angekündigt. Zum bevorstehenden Hauptfasching wird das letzte große Narrenspiel über die Bühne gehen.
Jena. Die Heimstätte des LNT, das Gebäude der ehemaligen Sektion Technologie am ehemaligen Ernst-Thälmann-Ring 32, soll komplett schwarz drapiert werden. Spontan übernahm Christo das Gigaprojekt. Im Haus und in allen wichtigen Institutionen der Stadt liegen Kondolenzbücher aus. Der Stadtrat will auf einer Sondersitzung des nun bald zu Grabe getragenen teuren Toten gedenken, kein Narr will den leidenden Brüdern und Schwestern im Geiste die gebührende Ehre verweigern.
Die Friedhofsverwaltung plant das Anlegen eines Sondergrabes auf dem Nordfriedhof. Der sozial-psychologische Dienst hat die Hotline 19542015 für traumatisierte LNT-Fans geschaltet, die Uniklinik für Psychiatrie sich auf einen steilen Anstieg der Suizidversuche eingestellt. Ein Jenaer Verlag kündigte die kurzfristige Neuausgabe von Spenglers „Untergang des Abendlandes“ mit der Schlussode an das LNT an. Bibamus, das vom LNT reanimierte Trinkerdenkmal auf dem Johannisplatz, vergießt schon seit Tagen Sturzbäche von Tränen.
Von „Optik – ob dünn“ 1954 bis zum Rock’n Roll Fasching 2015 spannt sich der Reigen dieser singulären Jenaer Faschingshistorie. Erweckte Jena durch große Geister, Wirtschaftsbosse und Sportcracks Respekt in der Welt, in der der 5. Jahreszeit nicht wirklich zugetanen Gemeinde fabrizierte das LNT einen Fasching, der Jena diese wunderbare Symbiose schenkte: die ausgelassene, alkoholgeschwängert ansteigende Stimmung. Den puren Klamauk. Die zweimal jährlich praktizierte Lust zum die-Sau-raus-lassen einerseits. Andererseits die geistvolle, personell und materiell aufwändig inszenierte närrische Unterhaltung.
Thilo Sarrazin hat es gewusst: Das LNT schafft sich ab. Nicht die repressive Bevormundung durch das durchweg humorbefreite SED-Regime, nicht der seit der Wende Jahr für Jahr wirkende pekuniäre Druck und nicht die sinkenden Gästezahlen vermochten den Untergang des LNT herbei zu führen. Der Verein, er stirbt einfach aus. Nicht genügend Nachwuchs konnte in den letzten Jahren rekrutiert werden. Die in die Jahre gekommenen alten Kämpen müssen offenkundig dem Alter Tribut zollen.
Am Rosenmontag erschallt das letzte Mal Jenas stimmgewaltigster Narrenruf „Technika – fass die Sau“. Am Aschermittwoch ist für das Lustige Närrische Treiben alles vorbei. „Aus, aus, aus -aus. Das Spiel ist aus“, schrie der Radioreporter Zimmermann ins Mikrofon. Das war anno 54. Westdeutschland wird Fußball-Weltmeister und das LNT wird geboren. Sechs Jahrzehnte später können diese Worte erneut aufgerufen werden. Nicht mit dem Pathos des Triumphs versehen. Zum Tod einer Jenaer Faschingslegende.
Text: Andreas Wentzel