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Schwierige Nachlese

Jenaer OB-Wahl: Was sagt das klare Resultat?

Warum gewann Herausforderer Thomas Nitzsche so deutlich die OB-Wahl in Jena? Wer kennt die belegbare Antwort?
Warum gewann Herausforderer Thomas Nitzsche so deutlich die OB-Wahl in Jena? Wer kennt die belegbare Antwort?
Foto: Michael Baumgarten
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Warum konnte Thomas Nitzsche die OB-Wahl so klar gewinnen? Eine in sich widerspruchsfreie, beweisbare Antwort muss ausbleiben.

Jena. Auf den Veterinär Dr. Peter Röhlinger (FDP) und den Theologen und Pfarrer Dr. Albrecht Schröter (SPD) folgt im Amt des Jenaer Oberbürgermeisters nun der wissenschaftliche Mitarbeiter der Jenaer Unibibliothek und promovierte Politikwissenschaftler Thomas Nitzsche. Die Jenaer Stadtverwaltung, gewiss nur eine marginale Konstante, wird weiterhin von einem „Doktor“ geführt.

„Wer hat wen warum gewählt?“

In Jena werden keine Wählerbefragungen abgehalten. Eine detaillierte Interpretation der Stichwahl vom gestrigen Sonntag - wie etwa in Folge von Bundestagswahlen -  ist seriös nicht anzustellen. Beobachtungen und kommentierte Betrachtungen müssen zu einem mehrheitlichen Teil eine statistisch fundierte Analyse ersetzen.

So bleibt also die Antwort auf die Frage offen: Siegte Nitzsche, weil er der bessere Kandidat war im Vergleich zum unterlegenen Amtsinhaber? Konnte der deutlich jüngere FDP-Mann, der ein OB für Alle sein möchte, vor allem von der im Wahlkampf zu registrierenden Wechselstimmung profitieren? Wollten die Wähler mehrheitlich nach zwölf Jahren Schröter nicht noch weitere sechs Jahre im Amt erleben?

Wie beim Wahlakt selbst bleibt auch in der Auswertung dem (interessierten Bürger) das Recht vorbehalten, nach eigenem Ermessen ein Urteil zu fällen.

Schröter souverän geschlagen

Dennoch gilt: Das Ergebnis der Stichwahl lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Nitzsche konnte mit 63,3 Prozent Schröter souverän schlagen. Der Stadtrat holte 24.982 Stimmen, sein Gegner 14.499. Letzterer verlor gegenüber der Stichwahl 2012 rund 5.000 Stimmen, konnte ebenso viele am Sonntag im Vergleich zum 1. Wahlgang am 15. April hinzugewinnen. Im 1. Wahlgang wählten 12.046 Bürger Nitzsche, nun mehr als doppelt so viele.

Bestes OB-Wahlergebnis

Der Sieger fuhr seit Einführung der OB-Direktwahl 1994 das mit Abstand beste Ergebnis ein. Nur Schröter gelang es vor sechs Jahren, die 20.000er Marke zu knacken (20.563).

Überaus bemerkenswert wirkt zudem die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung mit 46,7 Prozent einen Rekord ergab. Nur im Jahr 2000 wollten mehr als 40 Prozent der Bürger von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen (40,9 Prozent). 

Schröter mit Lagerwahlkampf

Schröter, der glaubte, zum Schluss einen Lagerwahlkampf führen zu müssen, prophezeite in seinem Statement nach der Stimmauszählung nochmals den von ihm befürchteten „Richtungswechsel“ in der Stadtpolitik. Nitzsche sah sich in seiner Erklärung wohl auch ob dieses Verdikts veranlasst, festzustellen, es werde keine „neoliberale Politik“ über die Stadt hereinbrechen. Wenn er auch den versprochenen „Politikwechsel“ umsetzen wolle.

Härtetest zur Dezernenten-Wahl

Wird Nitzsche dabei sein grandioser Wahlsieg helfen? Bei aller Machtbefugnis eines Stadtoberhauptes kann dieser aus einer grundsätzlichen Opposition heraus nicht gegen den Stadtrat bestehen. Ein erster Härtetest steht für den Neu-OB bereits im Sommer an.



Finanzdezernent Frank Jauch (SPD) und Sozialdezernent Frank Schenker (CDU) müssen schon altersbedingt aus ihren Ämtern scheiden, die sechsjährige Amtszeit von Stadtentwicklungsdezernent Denis Peisker (Grüne) endet zu Jahresbeginn 2019. Wer wird den beiden Ersten nachfolgen, darf der Grüne bleiben?

Welche Kandidaten wird Nitzsche - solo oder in Absprache mit Stadträten - präsentieren und haben diese eine Chance, von der Mehrheit der 46 Stadträte, zu denen nur zwei FDP-Mitglieder gehören, gewählt zu werden? Oder findet sich eine Mehrheit, die ihre eigenen Kandidaten gegen den Willen des OB’s durchsetzt? Personalentscheidungen, die ein knappes Jahr vor der Kommunalwahl 2019 anstehen.  

Text: Andreas Wentzel