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JN-Ratgeber

Digitalstandort Jena: Wie digital sind einzelne Bereiche bereits?

Foto: Michael Baumgarten/Archiv
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Deutschland ist ein Land vieler „Hidden Champions“, also der breiten Öffentlichkeit eher unbekannte Erfolgsunternehmen. Was die Digitalisierung anbelangt, so zählen einige Experten Jena längst dazu – aus gutem Grund.

Jena. Eigentlich sollte es niemanden wirklich verwundern, dass Jena eine geradezu mustergültige Digitalstadt ist. Beispiel gefällig? Bereits zu DDR-Zeiten war der VEB Carl Zeiss Jena eine der wohl wichtigsten Stützen des Landes in Sachen Elektronik.

1955 etwa stellte man hier den ersten DDR-Computer „OPREMA“ her, fertigte später eine international renommierte Multispektralkamera für Weltraumeinsätze (die zusammen mit Sigmund Jähn ins All flog). Und gegen Ende der DDR entstand hier mit dem „U61000“ der leistungsfähigste Computerchip des gesamten Ostblocks.


Kein Wunder also, dass Jena diese Digitalpolitik bis heute fortsetzt. Einige der für die Gegenwart und nahe Zukunft wichtigsten Erfolgspositionen haben wir auf den folgenden Zeilen zusammengetragen.

1. Das KI-Forschungsprojekt der Universität


Künstliche Intelligenz (KI), das wissen auch Laien, gilt als eine der wichtigsten digitalen Zukunftstechnologien überhaupt. Doch selbst wenn viele KI für äußerst nützliche Anwendungen entwickelt werden, so mangelt es doch häufig am Praxisbezug für den normalbürgerlichen Alltag.

Diesbezüglich stellen zwei verbundene Forschungsprojekte an der Universität Jena schon generell eine interessante Ausnahme dar – sie sind zweifelsohne sehr „bürgernah“. Auch, was die thematische Ausrichtung anbelangt, lässt sich definitiv von einem sehr alltagstauglichen Ansatz sprechen.


Und zwar geht es in diesen Projekten darum, eine KI zu entwickeln, die nach der Verabschiedung neuer Gesetze darauf basierend eigenständig Online-Formulare und -Anträge erstellt. Hauptsächlich soll das dabei helfen, neue Gesetze oder Änderungen an bestehenden Regularien schnell in die Praxis umzusetzen – eine menschliche Umsetzung dauert oft deutlich länger.

Äußerst passend, denn generell hat die digitale Verwaltung in Jena großen Stellenwert. Das zeigt sich an einem weiteren Projekt:

2. Das System „VIS Polizei“


Polizeiarbeit mag extrem vielfältig sein, sie wird jedoch von einigen wiederkehrenden Standards geprägt:

  • Es müssen sehr viele Daten für die jeweiligen Fälle erhoben, be- und verarbeitet werden.
  • Es sind verschiedene Formen der Arbeit an und mit den unterschiedlichen Akten nötig.
  • Es arbeiten meistens mehrere Beamte an einzelnen Fällen, zudem müssen die Informationen geteilt werden; etwa mit der Staatsanwaltschaft oder anderen Dienststellen.


Bisher setzte digitale Polizeiarbeit hier oftmals auf ein Konglomerat verschiedener Programme – die aus verschiedenen Gründen nicht der aktuellen Digitalstrategie der Thüringer Polizei entsprachen.

Derzeit befindet sich die Polizei daher zusammen mit angeschlossenen Stellen in einem Umbruch. Dafür steht ein völlig neues und sehr leistungsfähiges System, genannt „VIS-Polizei“.

Diese von der Erfurter PDV GmbH stammende Plattform wurde gezielt entwickelt, um die gesamte digitale Aktenführung und Vorgangsbearbeitung auf einer Plattform zusammenzuführen.

Das hat für die Kriminalitätsbekämpfer eine ganze Reihe von Vorteilen:

  • Eine einheitliche Arbeitsumgebung für alle Vorgänge,
  • Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Stellen ohne Medienbruch,
  • dadurch eine erleichterte und beschleunigte innerbehördliche Zusammenarbeit und
  • einheitliche und sehr hohe Sicherheitsstandards.

Dadurch steht VIS-Polizei leistungsmäßig deutlich über bisherigen Bearbeitungssystemen und E-Akten und wird die Polizeiarbeit in Jena deutlich vereinfachen und beschleunigen.


Übrigens: Seit 2021 ist es in ganz Thüringen möglich, Anzeigen nunmehr online zu erstellen. Das soll die Hemmschwelle zur Anzeige von Straftaten deutlich senken. Ein weiterer Punkt, an dem das Bundesland im Dashboard zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes punkten kann.

3. Das Prinzip „5G Modellregion“

Für viele Laien stellt der 5G-Standard lediglich einen neuen und schnelleren Mobilfunkstandard dar. Ein derartiger Blick wäre de facto allerdings ähnlich kurzsichtig, als würde man ein Smartphone nur als Telefon ansehen – statt als einen extrem leistungsfähigen, multifunktionalen Taschencomputer.

Tatsächlich ist 5G durch seine Datenübertragungsgeschwindigkeiten die Schlüsseltechnologie, ohne die eine ganze Reihe anderer Zukunftstechnologien nicht funktionieren. So ist beispielsweise eine echte autonome Mobilität der höheren Grade ohne ständige Kommunikation der Fahrzeuge untereinander und mit dritten Stellen (sogenanntes V2X, Vehicle-to-X) ohne 5G unmöglich.


Doch benötigt 5G aufgrund der Frequenzen ein deutlich engmaschigeres Funkturmnetz. Das ist letztlich der Hauptgrund, warum der Ausbau so aufwendig ist.

Die Region Jena ist diesbezüglich ein Leuchtstern für die ganze Republik. Ende 2020 wurde die Stadt in einem Innovationswettbewerb des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur ausgewählt. Das heißt im Klartext: Jena und sein Umland werden zu den ersten Arealen in ganz Deutschland gehören, in denen sowohl 5G- als auch V2X-Infrastrukturen komplett so ausgebaut werden, wie sie in naher Zukunft benötigt werden.


Das bietet nicht nur die Chance, ein „early Adopter“ zu sein, sondern es lassen sich vor allem extrem wichtige Schlüsse für die Praxis in anderen Städten und Kommunen daraus ziehen. Nebenbei hat das Auswirkungen auf einen optimierten städtischen Verkehrsfluss – selbst ohne autonome Fahrzeuge.

4. Der Schwerpunkt E-Commerce an der Universität


E-Commerce, also Online-Handel, war schon vor der Corona-Pandemie eine wahrhaft gigantische Größe innerhalb des Handels. Schon vor 2020 konnten es sich in vielen Branchen Unternehmen schlichtweg nicht mehr leisten, nicht wenigstens „auch“ online anzubieten, weil sie sich sonst von einem erheblichen Teil ihrer Zielgruppe entkoppelt hätten.


Corona hat diesbezüglich die Wachstumsraten mehrerer Jahre schlicht beschleunigt und eine enorme Auswirkung gehabt. Das heißt

  • noch mehr Menschen und Firmen zu E-Commerce-Kunden gemacht,
  • das Verhältnis von Off- zu Online-Handel noch stärker verschoben,
  • Menschen mit dem Online-Kauf in Sparten in Berührung gebracht, die ohne die Pandemie wohl noch mindestens einige Jahre lang Bastionen des stationären Handels geblieben wären (etwa im Lebensmittelhandel) und
  • dadurch dem gesamten digitalen Handel einen weiteren Bedeutungs- und Professionalisierungsschub gegeben.

Vielfach wird Online-Handel jedoch immer noch einfach nur als digitale Variante des klassischen Handels angesehen – was ähnlich kurzgedacht ist wie der weiter oben genannte Vergleich mit dem Smartphone.


Die Ernst-Abbe-Hochschule Jena gehörte diesbezüglich zu den ersten, die erkannten, wie sehr E-Commerce vom klassischen Handel abweicht und wie häufig traditionelle Methoden aus Betriebswirtschaft, Marketing und artverwandten Themen hier nicht (völlig) funktionieren.

Daher schuf die Universität die „Jena School of E-Commerce“. Nicht weniger als ein Exzellenzzentrum des digitalen Handels. Hier werden die beiden Bachelor- und Master-Studiengänge „E-Commerce“ angeboten, wird zudem rund um dieses bedeutende Thema geforscht.

Damit zieht die Stadt nicht nur die Handels-Profis von morgen heran, sondern etabliert sich immer stärker als bedeutendes europäisches Zentrum für den Internet-Handel.

Text: Susann Schmidt