Mietroller
Selbsttest: Augen auf beim E-Scooter-Rausch in Jena
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E-Scooter verändern seit einer Woche das Stadtbild Jenas. Das Verkehrsmittel der Zukunft? Oder doch eher eine nette Spielerei fürs Wochenende? Unsere Redakteurin Jasmin Lincke hat den Selbsttest gewagt und dem neuen Roller genauer auf den Zahn gefühlt.
Jena. Pfingstmontag bei strahlendem Sonnenschein: Temperaturen um die 20 Grad, satt blauer Himmel, süßer Flieder in der Luft - der perfekte Tag für einen Ausflug.
Und da wir up-to-date, neugierig und cool sind - wieso nicht mit dem E-Scooter? Schließlich stehen seit knapp zwei Wochen rund um die Uhr 80 der batteriebetriebenen Roller in Jena zum Verleih. Außerdem winken Neukunden in Jena gleich mal 20 Freiminuten und einem geschenkten Gaul schaut man ja bekanntlich nicht ins Maul.
Also: gesagt, getan. Noch schnell ein paar Apfeltaschen eingepackt und die zugehörige TIER-App (TIER ist der Firmenname des Verleihers) heruntergeladen, dann kann es auch schon losgehen.
Von Jena-Nord zum Erlkönig in Jena-Ost wollen wir bei diesem Wetter und suchen zunächst mithilfe des Smartphones ein Fahrzeug in unserer Nähe. Dabei leitet uns ein lustig blinkender Punkt, dem wir wie üblich zunächst in die falsche Richtung folgen, durch das Gewerbegebiet Saalepark.
Eigentlich müssen wir nur um drei Ecken, doch auf dem kurzen Weg zu unseren Rollern, die glücklicherweise im Doppelpack in der Löbstedter Straße stehen, begegnen uns bereits vier der türkis-schwarzen Exemplare, die auf der Karte allerdings nicht angezeigt werden und einen Moment für Verwirrung sorgen.
Ein Haufen voller Roller
Es dauert kurz bis wir begreifen, dass es sich bei den lieblos übereinander geworfenen TIER-Scootern weder um die von uns angepeilten, noch funktionstüchtig aufgeladene handelt.
Vorfreude-Endorphine pendeln sich also wieder bei normal ein und wir zuckeln eine Straße weiter, wo wir sie dann endlich an einer Hecke gelehnt erblicken: Zwei nigelnagelneue E-Scooter. Die grelle Legierung glänzt in der Sonne.
Breite Räder versprechen 20 km/h pure Geschwindigkeit. Fast kann man den Wind in den Haaren schon spüren - am besten natürlich unter einem Helm. Sicherheit geht schließlich vor!
Keine Fahrt ohne Kreditkarte oder Paypal
Über einen integrierten QR-Code soll man die Babys jetzt also aktivieren. Hier allerdings das erste Problem, denn nur einer von uns hat den passenden Scanner dafür. Doch zum Glück sind wir zu zweit und besitzen, wenn schon keine Kreditkarte, wenigstens PayPal, dessen Daten wir trotz Freifahrt angeben müssen.
Na ja, gibt Schlimmeres. Was tut man nicht alles, um gratis etwas abzustauben? Aber zwei Sekunden später der Schreck: TIER hat 5 Euro von Ihrem PayPal-Konto abgebucht. Öhm…wie bitte, was? „Temporary hold 7d refund“ steht als Erklärung, in der E-Mail - aber unter Druck erstmal Englisch verstehen!
Einen tiefen Atemzug und eine Eingabe bei Google-Übersetzer später, wird dann klar, was die Zeilen bedeuten.
Es handelt sich bei dem abgebuchten Betrag um eine Art Pfand oder Sicherheit, der innerhalb der nächsten sieben Tage zurückerstattet werden sollte. Einerseits natürlich erst einmal erleichternd, andererseits schon irgendwie blöd.
Aber auch egal, denn ändern können wir daran ohnehin nichts mehr. Dafür wollen wir jetzt wenigstens die Straßen unsicher machen - und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Befahren von Gehwegen und Fußgängerzonen ist tabu.
Vorbildlich wie wir sind, schnallen wir uns unsere Helme auf den Kopf und dann gibt es kein Halten mehr. Mit knapp 0,5 PS rollen wir über die Fahrbahn, überholen jeden Rollator und haben den Spaß unseres Lebens.
Parkverbot „roten Bereich“
Bis wir die Scooter abstellen wollen und plötzlich zum dritten Mal an diesem Tag verwirrt sind. Denn anscheinend befinden wir uns im „roten Bereich“, auf „Sperrgebiet“ oder auch einfach: in der Parkverbotszone.
Die Uhr läuft natürlich weiter, sodass wir uns beeilen müssen ein gutes Stück zurückzufahren. Mit Vollgas geht es also in die entgegengesetzte Richtung und wir entfernen uns wieder von unserem eigentlichen Ausflugsziel. Der Blick aufs Handy dokumentiert in kurzen Zwischenstopps den Wettlauf gegen die Zeit.
Letztendlich schaffen wir es rechtzeitig die Roller in einer geeigneten Straße abzustellen, die jedoch nur unweit von unserem ursprünglichen Ausgangspunkt entfernt liegt. Für „Überlandfahrten“ sind die Roller, welche primär für den Stadtverkehr vorgesehen sind, demnach noch nicht geeignet.
Unser Fazit des Tages lautet deshalb: ausbaufähig. Die Apfeltaschen waren lecker, der Spaßfaktor hat überwogen, aber wer sich vor dem Gebrauch der E-Scooter nicht richtig informiert oder genau liest, den erwartet die ein oder andere Überraschung.
Denn trotz nachhaltiger und komfortabler Mobilität kristallisieren sich bereits verbesserungswürdige Mängel in der Nutzung der Mietroller heraus.
Text: Jasmin Lincke
